Es ist schon ein ganzes Jahr her – vor einem Jahr begann der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen das Nachbarland Ukraine. In Teilen der Ukraine kämpfen Menschen bereits seit neun Jahren für ihre Freiheit – aber seit nun einem Jahr kämpft ein ganzes Land um seine bloße Existenz und das Überleben seiner Frauen und Männer und seiner Kinder. Entgegen Putins Plan, die Ukraine in wenigen Tagen komplett einzunehmen, wütet seit 365 Tagen Horror, Tod, Zerstörung und Flucht. Nach beinahe 80 Jahren Frieden herrscht wieder Krieg auf europäischem Boden.
Verbrecherische und rücksichtslose Großmachtphantasien, die wir bereits überwunden geglaubt hatten, haben die Welt wieder in einen Krieg gestürzt, dessen Ende derzeit nicht abzusehen ist. Russland hat den imperialistischen Angriffskrieg zur gewaltsamen Übernahme der Fläche eines souveränen und unabhängigen Staates und der Unterjochung seines Volkes wieder zurück auf die Weltbühne gebracht. Die russische Führung rund um Putin tritt Menschenrechte mit Füßen und bricht jegliche internationale Abkommen. Nur noch das Recht des Stärkeren soll gelten.
Das hätte sich vor etwas mehr als einem Jahr niemand wirklich ernsthaft vorstellen können. Nach dem Ende des Kalten Krieges bestand zu Recht die Hoffnung, dass die Zeit der Hochrüstung und der gegenseitigen Bedrohung der Vergangenheit angehören würde. Doch es kam – wie wir alle wissen – leider anders.
Die meisten von uns haben diesen Krieg sicher immer noch jeden Tag in unseren Gedanken. Wir nehmen die Nachrichten wahr, verfolgen und kommentieren politische Entscheidungen, debattieren selbst über den Krieg und seine Auswirkungen auf Europa und die ganze Welt. Aber im Umfang und der Intensität nimmt das ab. Man droht, abzustumpfen, umso mehr Tage und Monate vergehen – die Existenz des Krieges droht in der Wahrnehmung immer normaler zu werden. Aber ein Krieg darf für uns niemals zur Normalität, niemals zum akzeptierten Alltag werden! Deshalb sind solche Veranstaltungen wie in Sinsheim unglaublich wichtig.
Unsere Aufgabe als freiheitliche Gesellschaft ist es, in diesem Konflikt weiterhin Stellung zu beziehen, die Aggression zu Verurteilen, sich ihr entgegenzustellen und den Opfern beizustehen. Das bedeutet auch, Lasten zu tragen und Verantwortung zu übernehmen. Wir tun das nicht nur für die Ukraine und die Menschen dort, sondern auch für uns selbst und vor allem für unsere freiheitlich demokratischen Grundwerte!
Und es beeindruckt mich immer noch, wie die europäische Gesellschaft im letzten Jahr zusammengehalten hat – wie viel Kraft und Solidarität Europa gezeigt hat! Wir haben uns nicht spalten lassen, nicht in unserer Solidarität mit der Ukraine, nicht in unserer anhaltend großen Hilfsbereitschaft gegenüber Geflüchteten und auch nicht in unserer Ablehnung des Krieges. Und das obwohl die Auswirkungen der Sanktionen und des Krieges, die Anstrengungen zur Energiesicherheit und die steigenden Lebenskosten auch viele Menschen in Deutschland direkt treffen.
Aber das Recht darf dem Unrecht nicht weichen. Und deshalb müssen wir weiterhin mit Entschlossenheit, aber auch mit der gebotenen Besonnenheit diese bedrohliche Epoche unserer Geschichte durchstehen, damit sich nach dem Ende dieses Krieges die Prinzipien von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie neu festigen können. Wir stehen auch nach einem Jahr entschlossen hinter der Ukraine und unterstützen sie in ihrem Kampf für Selbstbestimmung und Demokratie als Teil von Europa. Hoffentlich findet dieser leidvolle Kampf bald ein Ende.
Wenn Russland aufhört zu kämpfen, hört der Krieg auf – wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, hört ihre Existenz auf.